UNGARNS NEUE VERFASSUNG GEFÄHRDET DIE FREIHEIT DER KUNST!


Offener Brief an die ungarische Regierung

Der von nationalkonservativen Künstlern gegründete, private Verein „Ungarische Künstlerische Akademie“ wird im Grundgesetz zu einer Körperschaft öffentlichen Rechts erklärt. Durch das neue Grundgesetz in Kombination mit anderen, von der Regierungspartei verabschiedeten Gesetzen, wurde die Künstlerische Akademie gesetzlich auf absehbare Zeit zur höchsten Instanz bei der Verteilung öffentlicher Fördergelder bestimmt. Das bedeutet, dass einem geschlossenen Kreis von stramm konservativ gesinnten Künstlern das Recht eingeräumt wird, über die Vergabe von Subventionen, Gehältern, Stipendien, Staatspreisen usw. an alle Künstler des Landes zu bestimmen.

Der Präsident der Kunstakademie hat auch bereits ohne Umschweife erklärt, die Akademie werde künftig nur noch Künstler mit „der echten nationalen Einstellung“ unterstützen. Gleichzeitig hat er seinem Bedauern darüber Ausdruck gegeben, dass „im Ausland auch György Konrád als Ungar betrachtet wird, was immer er auch über uns sagt.“ Er tritt gegen seiner Meinung nach entarteten Kunstwerke in Ungarn auf und hat auch verkündet, Künstler, „die Ungarn aus dem Ausland verunglimpfen, können wahrscheinlich nicht Mitglieder der Akademie werden.“ (Mitglieder der Akademie erhalten vom Staat eine feste Zusatzrente, die allein über dem Durchschnittsgehalt in Ungarn liegt.)

Die Tatsache, dass die Regierenden eines EU-Staates im 21. Jahrhundert der Kunst ideologische Fesseln anzulegen versuchen, bedeutet eine fundamentale Verletzung der Grundprinzipien der freiheitlichen Demokratie. Dass in Ungarn Künstler, die nicht regimekonform dichten, malen oder schreiben, mit finanziellem Druck in ihrer Existenz bedroht werden können, ist nicht hinnehmbar! Und dass das alles noch mit der jetzigen 2/3 Mehrheit der national-konservativen Regierungspartei FIDESZ im Parlament für alle Zukunft in der Verfassung fixiert werden soll, ist ein Skandal, der international uns Künstlern den allgemeinen Protest zur Pflicht macht. Wir bitten alle Künstler Europas und der Welt, denen die Freiheit der Kunst wichtig ist, sich unserem Protest anzuschließen.

Wir fordern die ungarische Regierung und das ungarische Parlament auf, die von ihnen unter Protest sämtlicher anderer demokratischer Kräfte einseitig in das Grundgesetz eingebrachte Formulierung über die ungarische Kunstakademie wieder zu entfernen und damit der Sonderstellung ideologischer Tugendwächter der Kunst ein Ende zu bereiten.

Ádám Fischer (Dirigent); András Schiff (Pianist); Árpád Schilling (Regisseur); Dietmar Schwarz (Intendant, Deutsche Oper Berlin); Peter de Caluwe (Intendant, Theatre de la Monnaie Bruxelles); Matthias Hartmann (Direktor, Burgtheater Wien); Michael Guggenheimer (Präsident Deutschschweizer PEN Zentrum); Herbert Wiesner (Generalsekretär PEN Deutschland); Helmuth A. Niederle (Präsident Österr. P.E.N.-Club); Gerhard Ruiss (Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren)

Das DeutschSchweizer PEN Zentrum an den Literaturtagen Solothurn

Das geschriebene Wort wird bis heute systematisch unterdrückt

Achtzig Jahre nach der Bücherverbrennung

Zum zweiten Mal fand die Jahresversammlung des DeutschSchweizer Pen Zentrums (DSPZ) während den Solothurner Literaturtagen statt. Und zum zweiten Mal lud das DSPZ im Anschluss an seiner Versammlung die Besucher der Literaturtage zu einer Veranstaltung ein (siehe Veranstaltungen: Sara Whyatt).

Mit der Durchführung der Hauptversammlung und mit der Einladung zu einer öffentlichen Veranstaltung in Solothurn setzte das DSPZ ein Zeichen seiner Verbundenheit mit der Literaturszene der Schweiz.

PEN ist eine politische Organisation, die sich weltweit für die Freiheit des Wortes einsetzt. Nach dem Auftrag ihrer Charta und im Verständnis der Öffentlichkeit ist PEN eine international operierende Menschenrechtsorganisation, in der Schriftsteller, Übersetzer, Journalisten und Verleger organisiert sind.

PEN macht auf die schwierige Lage von Journalisten, Autoren und Verlegern in Ländern wie Mexiko oder Venezuela, in der Türkei, im Iran, in Ungarn, Russland und China aufmerksam. Heute werden nicht Bücher verbrannt, die Methoden, mit denen Schreibende an ihrer Arbeit behindert werden, sind raffinierter geworden.

Jahresbericht 2012 pdf
Vortrag Sara Whyatt pdf

Fürs Schreiben verhaftet

Das Writers in Prison Committee veröffentlicht seine aktuelle Liste

Das PEN International Writers In Prison Committee veröffentlicht zweimal jährlich eine Liste mit weltweit allen Personen, welche entweder inhaftiert worden sind oder auf eine andere Weise wegen ihrer friedlichen Aktivitäten oder der Ausübung ihres Berufes politisch verfolgt werden.

Case List, 2. Hälfte 2012 pdf

Im Gefängnis wegen ein paar Sätzen

In mehr als achtzig Ländern werden missliebige Schriftsteller verfolgt, gefoltert, inhaftiert oder ermordet

In der polnischen Stadt Krakau hat vergangene Woche die Konferenz «WritingFreedom» zur Lage von verfolgten, inhaftierten oder exilierten Schriftstellern und Journalisten rund um die Welt stattgefunden. Der alle zwei Jahre stattfindende Anlass wird jeweils organisiert vom «Writers in Prison»-Komitee der internationalen Schriftstellerorganisation PEN sowie Icorn, einem Netzwerk von Notwohnungen in vierzig Städten für bedrohte Autoren. Über 200 Gäste -Schriftsteller, Medienschaffende, Blogger, Menschenrechtsaktivisten - aus fünfzig Ländern waren angereist, um sich über den Stand der Meinungs- und Redefreiheit im internationalen Vergleich auszutauschen und Strategien gegen Zensur, Kontrolle und Repression auszuarbeiten. 

David Signer, Krakau (Neue Zürcher Zeitung vom 25.05. 2013)  pdf

Das DSPZ stärkt Edward Snowden

Das Deutschschweizer PEN Zentrum hat gemeinsam mit weiteren über 125 weltweit tätigen Organisationen, die sich für die Freiheit der Meinungsäusserung einsetzen, US- Präsident Barack Obama ein Schreiben geschickt, in dem gefordert wird, Edward Snowden juristisch nicht zu belangen, ihm seinen amerikanischen Pass wieder zu geben, die Anklage gegen ihn zurückzuziehen und die Arbeit der National Security Agency im Bereich der Datenspionage im Internet öffentlich zu machen und sie nicht mehr weiter zu betreiben, da sie die freie Meinungsäusserung behindert. Whistleblowers müssten in Zukunft geschützt werden. 

Brief an Barak Obama pdf

Ungarn Resolution verabschiedet

Main Assembly

79th PEN World Congress in Reykjavik, Iceland

Einstimmig bei einer Enthaltung wurde die von den deutschsprachigen PEN-Zentren (Deutschland, Österreich, Deutsche Schweiz) zusammen mit dem ungarischen PEN eingebrachte Resolution zu ausländerfeindlichen, antisemitischen und antiroma Vorfällen in Ungarn durch die Mitgliederversammlung des 79. Internationalen PEN-Kongresses verabschiedet.

Resolution on Hungary submitted by PEN Austria, Swiss-German PEN, German PEN and Hungarian PEN

As PEN International, a global Writers‘ Organisation fighting for freedom of expression around the world, we regret and condemn xenophobic, antisemitic, racist and anti-Roma events in Hungary and Europe in general. We express our solidarity with all Hungarian writers whatever their politics and cultural roots, who are unjustly attacked, such as Nobel laureate Imre Kertész, Péter Nádas, Péter Esterházy and the former President of PEN International, György Konrád. We urge the Hungarian public and administration to do their utmost to stop these developments and protect all civil rights.

The Assembly of Delegates of PEN International, meeting at its 79th World Congress in Reykjavik, Iceland, September 9th to September 12th 2013

Day of the Imprisoned Writer 2013

Irfan Babaoglu (links) und Sexmus Sefer vor dem Eingang des Literaturhauses in Zürich.

Irfan Babaoglu und Sexmus Sefer zu Gast in Basel und Zürich

Aus Anlass des Day of the Imprisoned Writer 2013 hat das DeutschSchweizer Pen Zentrum (DSPZ) die beiden kurdischen Schriftsteller Irfan Babaoglu und Sexmus Sefer aus der Türkei nach Basel und Zürich eingeladen. Sefer ist Präsident des kurdischen PEN Zentrums, das lange Jahre vom deutschen Exil in Bremen aus seine Aktivitäten entfalten konnte und seit diesem Jahr in Amed / Diyarbakir im Osten der Türkei domiziliert ist. Babaoglu war wegen seiner publizistischen Tätigkeit während 21 Jahren inhaftiert gewesen.

Befragt von Yusuf Yesilöz vom DSPZ-Vorstand berichteten die beiden über die Lage der kurdischen Sprache in der Türkei, wo sogar in Gebieten mit kurdischer Bevölkerung das Kurdische an Grundschulen nicht unterrichtet wird und in Schulen der Mittelstufe Kurdisch nur als Wahlfach angeboten wird. Die beiden zeigten auf, wie wichtig das Ausland für die Entwicklung der während Jahrzehnten in der Türkei verbotenen Sprache war: In Syrien, Schweden und Deutschland schrieben exilierte kurdische Autoren in ihrer Muttersprache, hier lebte die unterdrückte Schriftsprache, für die erst seit kurzem in der Türkei kleine Verlage gegründet werden.

Der weltweit jedes Jahr am 15. November begangene Day of the Imprisoned Writer hat zum Ziel, Schriftsteller zu unterstützen, die wegen der Ausübung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung Repressionen standhalten müssen und die sich gegen Angriffe gegen ihr Recht zur Verbreitung von Informationen zur Wehr setzen.

Writers Against Mass Surveillance


Die Demokratie verteidigen im digitalen Zeitalter

Unter dem Titel „Writers Against Mass Surveillance“ hat eine Gruppe von Autoren einen internationalen Appell ins Leben gerufen, der von mehr als 500 Schriftstellern aus aller Welt unterzeichnet wurde, darunter fünf Literaturnobelpreisträger: Orhan Pamuk, J.M. Coetzee, Elfriede Jelinek, Günter Grass und Tomas Tranströmer. Weitere namhafte Unterzeichner und Unterzeichnerinnen sind Margaret Atwood, Don DeLillo, Daniel Kehlmann, Nawal El Saadawi, Arundhati Roy, Henning Mankell, Richard Ford, Javier Marias, Björk, David Grossman, Arnon Grünberg, Angeles Mastretta, Juan Goytisolo, Nuruddin Farah, Nick Cave, João Ribeiro, Victor Erofeyev, Liao Yiwu, David Malouf und John Ralston Saul.  

Appell "Writers Against Mass Surveillance" pdf

Der zwölfte Präsident

Das Deutschschweizer PEN Zentrum verlangt die Freiheit des Wortes in der Türkei

(Bern. 28. 08. 2014). Der bisherige türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan wurde zum Staatspräsidenten gewählt und hat sein Amt am Donnerstag, 28. August angetreten. Der bisherige Aussenminister Ahmet Davutoglu, ein Getreuer Erdogans, wird neuer Ministerpräsident der Türkei. Beobachter befürchten, dass Erdogan als Präsident noch autoritärer als bislang herrschen werde: Unter Recep Tayyip Erdogan hat die Meinungsfreiheit in der Türkei stark gelitten. Eine Mission von PEN International hat vor etwas mehr als einem Jahr vor Ort die Lage türkischer Autoren, Übersetzer und Verleger untersucht und von der türkischen Regierung mit Nachdruck verlangt, dass die Meinungsäusserungsfreiheit respektiert wird. PEN International verfügt über eine Liste von Namen verfolgter Autorinnen und Autoren in der Türkei. Noch ist die Freiheit des Wortes in der Türkei nicht gewährleistet.

Die Organisation “Komitee zum Schutz der Journalisten (CPJ) berichtet, dass in den Jahren 2012 und 2013 mehr Medienschaffende sowie Schriftstellerinnen und Schriftsteller in der Türkei verhaftet und verfolgt wurden als in anderen Staaten. Ende 2013 sassen 49 Autorinnen und Autoren in den türkischen Gefängnissen. Ihnen werden häufig Verbindungen zu illegalen Organisationen vorgeworfen. Als Beweis dafür wird immer wieder einzig die Tatsache angeführt, dass die Inhaftierten über diese Organisationen geschrieben oder sie erwähnt hätten.


Gemäss einem Bericht des renommierten Menschenrechtsvereins IHD ist die Liste der "Verletzungen an Meinungsfreiheit sehr gross". Im Jahr 2013 wurden in der Türkei neun Bücher verboten, mehrere Schreibende angeklagt, Fernsehprogramme abgesetzt, Druckereien geschlossen, Zeitschriften verboten, sogar die Aufführung von Theaterstücken wurde untersagt.
 
Der Deutschschweizer PEN verlangt, dass sich Präsident Recep Tayyip Erdogan und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu endlich eindeutig und vehement für die Menschrechte und für die freien Meinungsäusserung einsetzen. Die willkürlichen Verfahren gegen Schreibende müssen eingestellt werden. 

Gastatelier für verfolgte Autoren in Luzern

Deutschschweizer PEN leistet konkrete Hilfe für ausländische Autoren

Vom Oktober an stellt das Deutschschweizer PEN-Zentrum (DSPZ) verfolgten Autorinnen und Autoren aus dem Ausland erstmals in der Schweiz ein Gastatelier zur Verfügung.

Die Zahl verfolgter Schriftsteller und Medienschaffender in vielen Ländern ist erschreckend gross. Manchmal gelingt diesen Autoren die Flucht oder die Ausreise ins Ausland. Eine Rückkehr in die Heimat ist häufig während längerer Zeit nicht möglich. Das „Vergehen“ dieser Autorinnen und Autoren ist einzig ihr Eintreten für die Meinungsfreiheit in autoritär geführten Staaten, in denen die Freiheit des Wortes nicht gewährleistet ist. Manchmal reicht ein einziger Satz in einem Roman oder eine Zeile in einem Gedicht, um verhaftet zu werden. Nicht wenige dieser Autoren werden systematisch an der Ausübung ihres Berufs gehindert. Die Zentrale des international tätigen PEN, des Zusammenschlusses von Autorinnen und Autoren in 140 Ländern, kann nachweisen, dass weltweit zurzeit über 800 Autoren und Autorinnen staatlichen Repressionen ausgesetzt sind, weil sie sich politisch oder zivilgesellschaftlich engagieren. Zu den meist genannten Ländern, in denen Autoren verfolgt werden, gehören Russland, Iran, Mexiko, China und auch die Türkei.

Was sich in anderen europäischen Ländern sowie in den USA Kanada und Mexiko seit mehreren Jahren gut bewährt hat, nimmt das DSPZ im Oktober erstmals in der Schweiz auf. Das DSPZ hat im Rahmen seines «Writers-in-Exile» Programms mit dem internationalen Städte-Netzwerk ICORN (International Cities of Refuge Network) einen Vertrag abgeschlossen und ist Mitglied dieses Städtenetzwerkes geworden. Dieses Netzwerk, welches als Verein konstituiert ist, besteht heute aus etwa vierzig Städten. Einige davon sind grosse Kulturstädte wie Barcelona, Brüssel, Amsterdam und Mexiko City, andere sind kleinere Städte wie etwa Aarhus in Dänemark.  In diesen ICORN-Städten stehen Ateliers für verfolgte Schriftsteller und Journalisten zur Verfügung.

Ein solches Atelier im Stadtzentrum von Luzern soll Schreibenden, die in ihrer Heimat an der Arbeit gehindert werden, die Möglichkeit geben, während eines Jahres oder für die Dauer von zwei Jahren an ihren Projekten ungestört weiterzuarbeiten. Luzern ist damit die erste Schweizer Stadt auf der Liste der „Cities of Refuge“. Der jeweilige Bewohner des Gastateliers erhält ein Stipendium für seine Lebensunterhaltskosten. Gleichzeitig soll er während seines Aufenthaltes ein Teil des literarischen Lebens der Schweiz werden. Das DSPZ verpflichtet sich, die Stipendiaten bei den vielfältigen Problemen des Alltags zu unterstützen. ICORN überprüft sorgfältig die Gesuche der Autoren auf der Grundlage der vom Writers-in-Prison-Komitee der Londoner Zentrale von PEN zusammengetragenen Informationen, ob es sich beim Kandidaten tatsächlich um einen verfolgten Autor handelt. 

Weitere Informationen: DeutschSchweizer PEN Zentrum, Burgunderstr. 13a, 3018 Bern, 079 657 77 71, office@pen-dschweiz.ch

„In Luzern fühle ich mich wohl und sicher“


Daniel R. Mekonnen, erster Bewohner der PEN-Gastwohnung in der Schweiz

Daniel R. Mekonnen, Rechtsanwalt, Menschenrechtsaktivist und Lyriker aus Eritrea, kann nicht in seine Heimat zurück. Kaum angekommen würde er sofort verhaftet werden. „In Eritrea verschwinden Tausende, von denen man nie mehr etwas hört. Andere landen im Gefängnis“, sagt er bei einem Treffen in Luzern, wo er für die Dauer eines Jahres dank des Engagements des Deutschschweizer PEN Zentrums (DSPZ) in Ruhe in einer Studiowohnung arbeiten kann. Befragt, weshalb so viele Männer Eritrea verlassen, gibt er zur Antwort: „Eritrea kennt einen unbegrenzten ‚Nationalen Dienst’, dieser umfasst den Militärdienst, der offiziell auf 18 Monate beschränkt ist, aber auch zivile Aufgaben. Manchmal wird man bei Minen- oder Feldarbeiten eingesetzt, wie lang man auf diese Weise dem Land als Soldat oder Arbeiter dienen muss, ist nicht absehbar, es kann Jahre oder auch Jahrzehnte dauern. Man wird zu einem Sklaven.“

 Folter, Festnahmen ohne Angabe der Haftgründe, unmenschliche Haftbedingungen in überfüllten Gefängnissen sind an der Tagesordnung. „Menschen werden in Container gesperrt, in denen schreckliche Zustände herrschen“, sagt Mekonnen. Der Einparteienstaat, dessen Parlament im Jahr 2002 unter dem autoritär herrschenden Präsidenten Isayas Afewerki aufgelöst wurde, gelte als einer der am stärksten militarisierten Staaten der Welt und könne durchaus mit Nordkorea verglichen werden. Die 1997 verabschiedete Verfassung trat bis heute nicht in Kraft. Pressefreiheit besteht in Eritrea praktisch nicht. Das NGO Reporter ohne Grenzen listet Eritrea seit 2007 auf dem weltweit letzten Platz des jährlich erscheinenden Press Freedom Index. Eine UN-Untersuchungskommission, Amnesty International sowie die Schriftstellerorganisation PEN International haben in den letzten Jahren mehrfach auf die Missstände in Eritrea hingewiesen. Ein weiterer Grund für die Flucht Tausender aus dem Land ist die katastrophale wirtschaftliche Lage.

 Auch Daniel R. Mekonnen wurde in den ‚Nationalen Dienst’ eingezogen. Er wurde in den Militärbaracken der Hafenstadt Massawa als Lehrer eingesetzt. Nach dem Studium der Rechte an der Universität von Asmara wurde er Distriktrichter und konnte dank eines Stipendiums der Weltbank an zwei Universitäten in Südafrika sein Studium fortsetzen, wo er einen Master in Human Rights machte und die „Eritrean Movement for Democracy and Human Rights“ (EMDMR) mitbegründete. Die Bewegung ist  in Eritrea nicht geduldet. Spätestens von jetzt an konnte er nicht mehr in seine Heimat zurück. Sieben Jahre hat Mekonnen in Südafrika verbracht. Wegen seines Engagements für die Menschenrechte und für die Meinungsäusserungsfreiheit wurde er mehrfach bedroht. In Twittertexten wurde aufgerufen, nach ihm zu jagen und ihn nach Ertirea zu verschleppen. Heimweh nach seinem Land hat er, doch seit 2003 hat er aus Angst vor einer Verhaftung Eritrea nicht mehr betreten. Heute lebt Mekonnen als Nomade in Europa und hält Gastvorträge über die Verletzung der Menschenrechte in Eritrea und über die Freiheit des Wortes in Afrika, er forscht über Migration in Afrika, berät internationale Organisationen und schreibt Expertisen zur Lage in seiner Heimat und in anderen Staaten Afrikas. Gerne würde er Vorträge oder Seminare halten zur Rolle der Medien bei der Propagierung der Menschenrechte. Wie Medien missbraucht werden und wie Kriegspropaganda wirkt, sind weitere Themen, die ihn beschäftigen. Im Rahmen eines Workshops von jungen Migrationsforschern spricht er demnächst zum Thema „Denken ohne Grenzen“. Über ICORN, das ‚International Cities of Refuge Network’, eine humanitäre Organisation, die für dissidente Autoren und Menschenrechtsaktivisten von Oslo aus Schutzplätze vermittelt, ist Mekonnen in Kontakt mit dem Deutschschweizer PEN Zentrum getreten, welches seit kurzem in Luzern eine Atelierwohnung für verfolgte Schriftsteller unterhält.

 „Die Opposition im Landesinnern ist zum Schweigen gebracht worden, aktiver Widerstand findet heute im Ausland statt.“, sagt Mekonnen. In Eritrea gebe es derzeit nur den passiven Widerstand: Menschen bleiben am arbeitsfreien muslimischen Freitag mit Freunden zu Sit-ins zuhause, um so zu bekunden, dass sie das Regime missbilligen. Manchmal werden Flugblätter verteilt, was aber äusserst gefährlich sei. Die grösste je ausserhalb Eritrea durchgeführte Demonstration gegen die Diktatur in Eritrea, an der 5000 Eritreer aus ganz Europa teilgenommen haben, hat Daniel R. Mekonnen vor dem Genfer Sitz der UNO im Juni dieses Jahres im Alleingang organisiert. „Diese Demonstration bildete den Anfang einer neuen oppositionellen Bewegung gegen die Diktatur in Eritrea“, sagt er. Zum 25. Jahrestag der eritreischen Unabhängigkeit im Mai 2016 plant Mekonnen eine Publikation, in der mehrere renommierte Autoren über die Lage in Eritrea berichten werden. Zudem will er eine Konferenz mit Workshops zum Thema organisieren. „Ich bin kein Politiker“, sagt Mekonnen, „ich strebe kein Amt an, ich setze mich in meinen Publikationen und Auftritten ein für die Freiheit des Wortes und für die Menschenrechte.“ Zahlreich sind denen auch seine Aufsätze in Sammelbänden und Zeitschriften zu Menschenrechten und zur Freiheit des Wortes. Möglichst schnell will er jetzt in Luzern Deutsch lernen, um sich mit Menschen aus seiner neuen Umgebung unterhalten zu können. „In Luzern“, sagt er, „fühle ich mich wohl und sicher.

 Michael Guggenheimer

Protest gegen die Massnahmen der türkischen Behörden

Das Deutschschweizer PEN-Zentrum (DSPZ) ist über die Lage der Meinungsäusserungsfreiheit in der Türkei besorgt und protestiert gegen die Massnahmen der türkischen Behörden gegen Journalisten, Blogger und Verleger. Nach dem gescheiterten Putsch hat die türkische Führung den Ausnahmezustand im Land verhängt. Unter dem Ausnahmezustand kann Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan weitgehend per Dekret regieren. Grundrechte wie die Versammlungs- und die Pressefreiheit können jederzeit ausgesetzt oder eingeschränkt werden. Zehntausende türkische Beamte, Professoren und Lehrer wurden kurzfristig suspendiert und Tausende Menschen inhaftiert. Für Wissenschaftler und Lehrpersonen an türkischen Universitäten hat der Hochschulrat Reisen ins Ausland untersagt. Die Arbeit der Medien wurden in den vergangenen Tagen immer weiter eingeengt und verunmöglicht. Innerhalb der letzten Tage wurden rund 20 News-Seiten von der Staatlichen Aufsicht für Informations- und Kommunikations-Technologie abgeschaltet. Des weiteren wurde 24 Radio- und Fernsehstationen die Sendelizenz entzogen. Das Büro des Premierministers kündigte an, dass 34 Journalisten ihre Presseausweise abgenommen werden. Alle Journalisten, die mit unabhängigen Medien zu tun haben, müssen zudem davon ausgehen, dass sich die Bedingungen für ihre Arbeit wohl weiter verschlechtern werden. Philippe Leruth, der Präsident der „International Federation of Journalists“, sprach von "eklatanten Verletzungen der Pressefreiheit und der Menschenrechte". Gegner des türkischen Präsidenten müssen dieser Tage bei entsprechenden Einträgen in sozialen Medien mit Besuch der Polizei rechnen. In mehreren türkischen Städten wurden Personen festgenommen. Sie hatten entweder den Putschversuch gelobt oder Erdogan kritisiert. Den Festgenommenen werde unter anderem vorgeworfen, mit Einträgen in sozialen Medien «die verfassungsmässige Ordnung gestört», «Kriminelle gelobt» oder Erdogan beleidigt zu haben. 

Die Empörung eines Verbannten

Daniel Mekonnen, Menschenrechtsanwalt und Dichter aus Eritrea. (Bild: Dominic Steinmann / NZZ)

Daniel Mekonnen, Menschenrechtsanwalt aus Eritrea, muss im Exil leben, gegenwärtig in Luzern. Er zahlt einen hohen Preis für sein Engagement, aber glaubt nicht an ein baldiges Ende des Regimes.

Er lebt überall und nirgends. Er wirkt freundlich und entspannt, aber was er sagt, klingt verzweifelt. Daniel Mekonnen ist ein Dichter, Jurist und Menschenrechtsaktivist aus Eritrea. Auf Einladung des Deutschschweizer PEN-Zentrums weilt er für ein Jahr als «Writer in Exile» in Luzern. In seiner Einzimmerwohnung unweit der Reuss sprechen wir über die Schönheit von Luzern, den Fluss, die Brücken, die Altstadt. Und dann blendet er in einem harten Schnitt die eritreische Hauptstadt ein. «Asmara», sagt er, «ist auch schön.» Er erwähnt die Journalisten und Politiker, die durch die Strassen flanieren, die Art-déco-Architektur aus der italienischen Kolonialzeit bewundern und den feinen Kaffee geniessen. Ist doch alles gar nicht so schlimm hier, sagen sie sich.

Die Hölle hinter der schönen Fassade

In der Tat sei Asmara eine der bezauberndsten und friedlichsten Städte Afrikas, sagt Mekonnen. «Aber es behauptet ja auch niemand, dass das Regime in Eritrea die Leute auf offener Strasse erschiesst.» Es gebe – im Unterschied zum schönen Luzern – hinter der verführerischen Fassade eine versteckte Hölle, mit geschätzten 300 Gefängnissen, mit Folter, mit Menschen, die ohne ersichtlichen Grund von einem Tag auf den andern verschwinden, vielleicht nie mehr auftauchen, vielleicht nach einem Jahr zurückkehren, als Wrack.

Mekonnen staunt über die Naivität mancher Leute. «Diese Journalisten sollen doch einmal versuchen, mit Einheimischen zu reden. Sie werden merken, dass es nicht geht. Jeder hat Angst.»

Die Kerker für «Regimegegner» sind so geheim, dass nicht einmal das Internationale Komitee vom Roten Kreuz Zugang hat, geschweige denn Angehörige oder Anwälte. Aber es gebe genügend ehemalige Insassen, die von ihren Torturen berichteten. Mekonnen hat solche Zeugenaussagen für den kürzlich erschienenen Uno-Bericht zu Eritreagesammelt. Die ehemaligen Gefangenen berichten von kleinen Sälen mit 200 Insassen, ohne Toiletten, von Schlägen, Folter, willkürlichen Hinrichtungen, der Abwesenheit jeglicher Justiz, vollständigem Ausgeliefertsein. Der Report kommt zu einem vernichtenden Urteil über die Verhältnisse im Land. Im Interview mit dem Nachrichtensender Jazeera forderte Mekonnen letztes Jahr, dass die Menschenrechtsverstösse Eritreas vor dem Internationalen Strafgerichtshof verhandelt werden. Daraufhin erhielt er telefonische Morddrohungen. Die Genfer Polizei leitete eine Untersuchung ein.

Der berüchtigte unbeschränkte Militärdienst in Eritrea bedeutet für Mekonnen, dass man ab 18 Jahren zum Staatseigentum wird. «Und die Frau zur Sexsklavin ihres Vorgesetzten.» Vom Range eines Colonel an habe jeder eritreische Soldat das Recht, eigene Gefangenenlager einzurichten und Menschen zu erschiessen. Früher habe man im Nationaldienst etwas für die Allgemeinheit getan. Heute hingegen müsse man ohne Sold häufig für private Unternehmen arbeiten oder auf dem Land eines Kommandanten, manchmal jahrelang. «Das ist kein Dienst am Vaterland, sondern Ausbeutung. Und das ist keine Armee, sondern eine Mafia!»

Eritrea ist für Mekonnen ein Land, in dem die elementarsten menschlichen Bedürfnisse verunmöglicht werden: Bildung, Beziehung, Ehe, Familie, einen eigenen Beruf zu ergreifen, Freundschaften. Der «National Service», der willkürlich auf Jahre, ja sogar Jahrzehnte ausgedehnt werden kann und eigentlich ein Frondienst ist, töte alles ab.

Daniel Mekonnen kam 1973 in der Nähe von Asmara zur Welt. 1993 wurde Eritrea nach einem langen Krieg von Äthiopien unabhängig. 1998, kurz nachdem der Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien wieder aufgeflammt war, schloss er sein Jus-Studium ab und arbeitete als erster eritreischer Richter im Land, mit gerade einmal 26. Drei Jahre später ging er nach Südafrika. Dort schloss er 2008 ein Studium der Menschenrechte mit dem Doktorat ab und publizierte regelmässig Gedichte in seiner Muttersprache Tigrinya. Weil er sich inzwischen durch die Gründung des Eritrean Movement for Democracy and Human Rights gegen das Regime von Präsident Afewerki exponiert hatte, wurde ihm die Verlängerung seines Passes verweigert, und er konnte nicht mehr in seine Heimat zurückkehren. Seither lebte er unter anderem in Belgien, Irland, Deutschland, Norwegen und seit November letzten Jahres in der Schweiz. Seinen Lebensunterhalt verdiente er vor allem als Dozent. Er ist mit einer Eritreerin verheiratet, die in Genf wohnt und mit der er ein kleines Kind hat.

Leben im Provisorium

Mekonnen muss lachen über Leute, die sagen, ja, Afewerki führe das Land mit eiserner Hand, aber das sei eben nötig wegen derfortdauernden Bedrohung durch Äthiopien, und ausserdem gebe es grosse Fortschritte im Bereich der Bildung und der Gesundheitsversorgung. «Afewerki hat unter dem Vorwand derKriegsgefahr eine Art permanenten Notstand ausgerufen. Es gibt keine Verfassung, kein Parlament und keine Justiz, die diesen Namen verdient. Das widerspricht jedem internationalen Recht, denn es herrscht schliesslich kein Krieg.»

Zur angeblich entwickelten Bildung sagt er nur: «Die Universität in Asmara wurde unter dem Vorwand der Dezentralisierung aufgelöst in eine Vielzahl von Colleges, die im ganzen Land verteilt sind. De facto gibt es keine höhere Bildung mehr.» Was die Medizin angehe, so mangle es sowohl an qualifiziertem Personal wie an Material. Von einer Krankenschwester habe er gehört, dass Pillen jeweils halbiert und geviertelt werden müssten, damit es für alle Patienten reiche, auch wenn die Dosis dann ungenügend sei.

Letztes Jahr kündigte die Regierung Eritreas an, den unbegrenzten Nationaldienst aufzuheben. Mekonnen lacht. «Das war wegen der Aussicht auf 200 Millionen Euro Entwicklungshilfe von der EU. Sobald das Geld gesprochen war, widerrief das Regime die baldige Aufhebung des Dienstes.»

Er glaubt, dass es der eritreischen Regierung nicht in erster Linie um das Geld ging, sondern um internationale Anerkennung. «Vor allem seit dem letzten Uno-Bericht steht die Regierung in Asmara unter Schock.» Allerdings sind die Möglichkeiten des Westens, auf Eritrea Druck auszuüben, im Schwinden begriffen. «Im Gefolge des Krieges in Jemen haben die Saudi und die Vereinigten Arabischen Emirate auf der Suche nach Verbündeten ihre Fühler nach Eritrea ausgestreckt. Eritrea kriegt nun genug Geld aus den Ölstaaten, um auf die Meinung Europas pfeifen zu können.»

Trotz dem Massenexodus – jeden Monat verlassen schätzungsweise 5000 Eritreer das Land mit seinen fünf Millionen Einwohnern – glaubt Mekonnen nicht, dass sich so bald etwas Grundlegendes ändern wird. «Präsident Afewerki ist besessen von seiner persönlichen Sicherheit. Er klammert sich an die Macht, aus Angst, sonst eines Tages zur Rechenschaft gezogen zu werden. Jede Bewegung im Land wird kontrolliert.» Es heisst, Afewerki habe Gold aus eritreischen Minen im Wert von 200 Millionen in Katar deponiert. Nicht um im Falle eines Sturzes ein Dolce Vita zu führen, sondern um im Notfall eine eigene Armee auf die Beine stellen zu können. «Er wird nie aufgeben», sagt Mekonnen. «Er wäre fähig, die ganze Region zu destabilisieren.» Im Gegensatz zu manchen Zweckoptimisten, die behaupten, es gebe Verbesserungen in Eritrea, damit Flüchtlinge zurückgeschickt werden könnten, glaubt Mekonnen eher, dass das Regime immer repressiverwird.

Seit fünfzehn Jahren kann Mekonnen seine Heimat nicht mehr besuchen. Er lebte in unzähligen Ländern, mit unsicherem Aufenthaltsstatus, in prekären finanziellen Verhältnissen. Durch die Heirat und die Familiengründung ist seine Situation nicht einfacher geworden, im Gegenteil. Für komplizierte Biografien wie die seine gibt es in der Migrationsbürokratie keine vorgefertigte Schublade, und leicht fällt er durch die Maschen. «Das Exil ist schmerzlich», sagt er. «Ich vermisse meine Familie.» Kindheitserinnerungen suchen ihn mehr und mehr heim.

David Signer. NZZ vom 7. August 2016.

 

Türkei: Autorin Asli Erdogan verhaftet.

Asli Erdogan wurde gestern verhaftet

Zeitung "Özgür Gündem" verboten

Die türkische Regierung hat angekündigt, bis zu 38.000 Häftlinge aus den Gefängnissen des Landes zu entlassen. Es handelt sich dabei nicht um eine Amnestie, sondern eine Entlassung auf Bewährung. Mit der Entlassung dieser Inhaftierten soll Platz gemacht werden für Personen, die in Zusammenhang mit dem gescheiterten Putschversuch verhaftet wurden.

Seit dem Putschversuch nahmen die türkischen Behörden nach offiziellen Angaben mehr als 35.000 Menschen fest. Unter den Gefangenen sind vor allem Militärangehörige, Richter, Staatsanwälte, Lehrer, Dozenten und Journalisten. Etwa ein Drittel von ihnen soll inzwischen wieder freigelassen worden sein. Allerdings dauern die Razzien und Verhaftungen im Zusammenhang damit noch an.

Seit der Niederschlagung des Putschversuchs wurden in der Türkei zahllose Medienschaffende entlassen und Medienhäuser geschlossen, die angeblich der Gülen Bewegung nahe stehen sollten. Bekannte Kolumnisten wie Sahin Alpay und Ali Bulac sind inhaftiert worden. Nun scheinen die Kurden wieder an der Reihe zu sein.

Neuestes Beispiel: Ein Gericht in Istanbul hat am Dienstag die pro-kurdische Zeitung "Özgür Gündem" bis auf Weiteres verboten. Laut einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu wurde das Verbot mit der Verbreitung von Propaganda für die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) begründet. Das Gericht bezeichnete "Özgür Gündem" als "Sprachorgan" der PKK.

Nach dem gescheiterten Militärputsch von Mitte Juli wurden in der Türkei mehr als 130 Medien dicht gemacht. Ein türkischer Regierungsvertreter sagte, das Verbot von "Özgür Gündem" habe nichts mit dem Ausnahmezustand zu tun, der nach dem Putschversuch verhängt wurde.

"Özgür Gündem" wurde 1992 gegründet. Gegen die Zeitung wurden wiederholt Verbote verhängt, zwischen 1994 und April 2011 konnte sie nicht erscheinen. Die gedruckte Auflage betrug zuletzt knapp 7.000 Exemplare. Im März hatte die Regierung in Ankara die Presseausweise der Journalisten, die für "Özgür Gündem" arbeiten, für ungültig erklärt. Die Autorin Asli Erdogan wurde in der Nacht auf den 17. August in ihrer Wohnung in Istanbul festgenommen. Noch ist unbekannt, wo sie festgehalten wird.

Sie war zuletzt im Beratungsrat der kurdischen Tageszeitung "Özgür Gündem“. 23 Journalisten der Zeitung sind seit gestern in Polizeigewahrsam, darunter der Karikaturist Dogan Güzel. Wie türkische Medien berichten, wird auch der bekannte Publizist Ragip Zarakolu gesucht. Erdogan und Zarakolu sind in der Schweiz bekannt, sie traten mehrmals hier auf, u.a. im Literaturhaus Zürich und an den Solothurner Literaturtagen. Nicht zum ersten Mal protestiert das Deutschschweizer PEN-gegen die willkürliche und massenhafte Verhaftung von Medienschaffenden und Autoren in der Türkei. 

Artikel von Yusuf Yesilöz, Vorstandsmitglied des DeutschSchweizer PENzentrum, WOZ, 25. August 2016 pdf

Necmiye Alpay


Ehrenmitglied des Deutschschweizer PEN

Das Deutschschweizer PEN Zentrum (DSPZ) weist seit mehreren Jahren immer wieder auf die prekäre Lage von Schriftstellern und Journalisten in der Türkei hin. Regelmässig lädt das DSPZ Schreibende aus der Türkei zu Lesungen und Gesprächen in die Schweiz ein. Im Jahr 2013 hat sich das DSPZ an einer Mission von PEN International in der Türkei beteiligt, an der sich PEN vor Ort mit der Lage der Autoren im Land befasste und gegen die Anti-Terror-Gesetze der Türkei protestierte.

Mit der kürzlichen Niederschlagung des Militärputsches hat die türkische Regierung eine massenhafte Verhaftungs- und Entlassungswelle in die Wege geleitet. Zahlreiche Autorinnen und Autoren sowie Journalistinnen und Journalisten warten heute in den Gefängnissen des Landes auf juristische Verfahren, ohne am Putsch beteiligt gewesen zu sein. Einzig ihr Ruf nach der Freiheit des Wortes hat die Verfahren gegen sie ausgelöst.

Das Deutschschweizer PEN-Zentrum hat beschlossen, als Zeichen der Solidarität mit den türkischen Autoren Necmiye Alpay als Ehrenmitglied aufzunehmen. Regelmässige Kontakte des DSPZ mit ihr, die im Gefängnis sitzt, sollen ihr und ihren Angehörigen helfen, die schwierige Zeit zu meistern. Necmiye Alpay, geboren 1946, ist eine türkische Sprachwissenschaftlerin und Buchautorin. Sie schloss ein Studium der Politikwissenschaften in Ankara ab, doktorierte in an der Nanterre Universität in Paris. Sie unterrichtete später an der Universität Ankara. Nach dem Militärputsch 1980 wurde sie verhaftet und verbrachte drei Jahre im berüchtigten Gefängnis Mamak in Ankara. Necmiye Alpay verlor ihre Stelle als Hochschuldozentin.

Nach der Haft arbeitete sie als Übersetzerin und Buchautorin im Bereich Linguistik. Von folgenden AutorInnen übersetzte sie Werke ins Türkische: Edward Said, Immanuel Wallerstein,  Madeline C. Zilfi, René Girard, Paul Ricoeur, Jean Paul Mongin und Jan Marchand. Sie fiel in den letzten Jahren als Kolumnistin auf, schrieb viel beachtete Artikel über die Sprache und ihre Entwicklung. Die kurdische Sprache, die in den Schulen weiterhin verboten ist, war ihr Thema. Wegen einer symbolischen Unterstützung für die Zeitung Özgür Politika wurde sie Ende August verhaftet. Ihr wird Mitgliedschaft bei einer illegalen Organisation vorgeworfen. Necmiye Alpay sitzt zusammen mit der Schriftstellerin Asli Erdogan im Frauengefängnis Bakirköy in Istanbul. Noch ist nicht bekannt, wann sie einem Richter vorgeführt wird.

Für die Freilassung von Inhaftierten in der Türkei

Ahmet Altan

WELT-Korrespondent Deniz Yücel ist aus türkischer Haft entlassen worden. Hunderte andere kritische Beobachter hingegen bleiben eingesperrt. Vergangene Woche wurden der Romancier Ahmet Altan und sein Bruder Mehmet, ein Volkswirtschaftsprofessor, in der Türkei zu lebenslänglichen Gefängnisstrafen verurteilt. Gleichzeitig erging eine lebenslängliche Haftstrafe gegen die Journalistin Nazli Ilicak. Nazli licak hatte für eine Gülen-nahe Zeitung geschrieben. Altans sitzen seit September 2016 im Hochsicherheitsgefängnis Silivri bei Istanbul. Ihnen wurde im Urteil vorgeworfen, sie hätten unter Anwendung von Gewalt versucht, die Regierung zu stürzen. Es bestehen aber keinerlei Beweise, dass die Altan Brüder am Pusch beteiligt waren.

Mehmet Altan ist Autor von 25 Büchern. In der Türkei ist er unter anderem dafür bekannt, dass er sich entschieden für den EU-Beitritt seines Landes eingesetzt hat. Noch im vergangenen Januar hatte das türkische Verfassungsgericht sich für die Freilassung von Mehmet Altan ausgesprochen, mit der Begründung, dass seine Untersuchungshaft gesetzwidrig sei. 

Die Altan Brüder sind in der Türkei seit Jahrzehnten für ihre liberale politische Haltung bekannt. Beide haben sich in der heiklen Kurdenfrage exponiert. In den letzten Jahren haben sie die Regierung Erdogans offen kritisiert. Ahmet Altan machte sich in der Reformphase des Landes im vergangenen Jahrzehnt als Chefredakteur der Zeitung „Taraf“ einen Namen. „Taraf“ griff Themen auf, die von anderen Medien aus Furcht vor der Obrigkeit ignoriert wurden, darunter Putschpläne der Militärs gegen den damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Staatschef Recep Tayyip Erdogan.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen sprach nach dem Urteil von einem "schwarzen Tag" für die Pressefreiheit in der Türkei. Zahlreiche Künstler, Akademiker und Journalisten – unter ihnen die Schriftsteller Orhan Pamuk und Herta Müller sowie der Journalist Günter Wallraff – hatten in einem offenen Brief gegen die Verhaftung der Altan-Brüder protestiert. Insgesamt sind in der Türkei etwa 150 Journalisten und Medienmitarbeiter in Haft.

Das Deutschschweizer PEN-Zentrum (DSPZ) protestiert gegen die harten Urteile gegen die beiden Altanbrüder sowie gegen das harte Urteil gegen die Journalistin Nazli Ilicak

Schämt ihr euch nicht?

Protest in Karelien gegen die Inhaftierung von Ildar Dadin, der ganz allein am Kreml Mahnwachen gegen den Ukraine-Krieg abgehalten hatte. (Bild: David Frenkel / Kommersant / Getty)

Wer für die Freiheit kämpft, muss nicht nur gegen einen repressiven Staat angehen, sondern auch gegen die Gleichgültigkeit der anderen. Dabei liegt der Sinn des Lebens nicht allein im Überleben.

Unser Sohn ist drei Jahre alt. Wir gingen mit ihm in ein Kunstmuseum, wo wir durch die Säle spazierten und auf den Bildern der grossen Meister Hunde, Katzen, Vögel und Pferde suchten. Auf einem Bild war die schwangere Jungfrau Maria dargestellt. Unser Sohn fragte, warum sie so einen grossen Bauch habe. Ich sagte, sie habe ein kleines Kind darin, das bald geboren werde. Wir setzten unseren Rundgang fort. Ein paar Säle weiter lief unser Sohn wieder zurück – um nachzusehen, ob das Kind schon geboren war.

Im Jahr 1968 gingen zum Zeichen des Protests gegen die sowjetischen Panzer in Prag einige Menschen auf den Roten Platz und entrollten dort Plakate mit der Aufschrift «Für unsere und eure Freiheit». Sie wurden auf der Stelle verhaftet. Ich war damals sieben Jahre alt und wusste davon nichts. Auch unser ganzes riesiges Land erfuhr nichts von dieser Aktion. Das Leben dieser Menschen war zerstört, sie hatten viele Jahre Gefängnis oder Psychiatrie zu gewärtigen. Nach dem Zerfall der UdSSR wurde über sie geschrieben und ihr Schicksal verfilmt. Ihre Aktion war zum Symbol des Widerstands geworden, sie selbst zu Helden im Kampf für die Freiheit.

Leiden ohne Aufsehen

Als die Archive des KGB für kurze Zeit zugänglich waren, stellte sich heraus, dass im August 1968 auch in anderen Städten des riesigen Imperiums Menschen protestiert hatten und dafür ins Gefängnis kamen, doch von ihrem Protest, von ihrem zerstörten Leben hat niemand je erfahren. Die Bürgerrechtsorganisationen im Westen wussten nichts von ihnen, niemand forderte ihre Freilassung. Ihr Schicksal wurde nicht verfilmt, sie wurden nicht zu Helden. Sie erhielten keine Auszeichnungen, niemand stiess bei einem internationalen PEN-Kongress auf ihren Mut an. Märtyrerruhm wurde ihnen nicht zuteil, ihr Leiden vollzog sich still und ohne Aufsehen.

Mein Land, das in den neunziger Jahren Atem geholt hatte, ist erneut im Sumpf von Angst und Schweigen versunken

Für kurze Zeit schien es, als hätten diese couragierten Menschen das System besiegt, als seien ihre Opfer nicht umsonst gewesen. Doch der Sieg erwies sich als Illusion.

«Am 11. September 2016 kamen Kossijew, der Leiter des Straflagers, und drei seiner Mitarbeiter zu mir. Sie begannen, mich systematisch zusammenzuschlagen. An dem Tag verprügelten sie mich insgesamt viermal und traktierten mich auch mit Fusstritten. Nach dem dritten Mal drückten sie meinen Kopf in die Toilettenschüssel in meiner Zelle. Am 12. September 2016 kamen sie, fesselten mir die Hände auf dem Rücken und hängten mich an den Handschellen auf. Das ist unglaublich schmerzhaft für die Handgelenke, ausserdem werden dadurch die Ellbogengelenke verdreht, und man hat wahnsinnige Schmerzen im Rücken. Ich hing eine halbe Stunde so da. Dann zogen sie mir die Unterhosen aus und sagten, sie würden jetzt einen anderen Gefangenen holen, der mich vergewaltigen würde, wenn ich nicht bereit sei, den Hungerstreik abzubrechen.»

Das ist ein Ausschnitt aus einem Brief des politischen Gefangenen Ildar Dadin, der ins Gefängnis geworfen wurde, weil er ganz allein Mahnwachen am Kreml abgehalten und gegen den Ukraine-Krieg protestiert hatte, «für unsere und eure Freiheit». Bei einer seiner Mahnwachen trug er ein Plakat mit der Aufschrift: «Schweig! Und wenn sie morgen dich abholen, schweigt der Nächste!» Mein Land, das in den neunziger Jahren Atem geholt hatte, ist erneut im Sumpf von Angst und Schweigen versunken. Dem Bedürfnis nach Freiheit steht ein nicht minder starkes Bedürfnis nach Unfreiheit entgegen.

Für meinen Vater waren die Dissidenten, die für die Freiheit des Wortes kämpften, keine Helden, sondern Verräter. Er selbst war mit 17 Jahren als Freiwilliger in den Krieg gezogen, um die Heimat zu verteidigen. Seinen Vater – meinen Grossvater – hatte der Staat als «Volksfeind» umgebracht. Indem sie das Vaterland verteidigten, verteidigten die Sklaven ein Sklavenregime. Das ist nichts Neues. In seinem Drama über das alte Rom lässt Dürrenmatt Romulus sagen: «Vaterland nennt sich der Staat immer dann, wenn er sich anschickt, auf Menschenmord auszugehen.»

Gegen die Meinung der Mehrheit

Wer für die Freiheit kämpft, muss nicht nur gegen einen repressiven Staat angehen, sondern auch gegen einen Grossteil von dessen Bevölkerung. Er kämpft für die Freiheit seines Volkes, doch dieses Volk sieht ihn mehrheitlich als Verräter an oder ist bestenfalls der Meinung, seine Opfer seien sinnlos. Wenn es ums Überleben geht, sind Erwägungen zum Aufbau der Zivilgesellschaft ungefähr so relevant wie die Regeln für das Eindecken einer festlichen Tafel, wenn man in der Schlange einer Suppenküche steht. Für die Mehrheit ist allein der Begriff Freiheit des Wortes diskreditiert und bedeutet die unbeschränkte Macht des Bösen.

Die Mehrheit ist stets überzeugt von ihrer Weisheit und der Rechtmässigkeit ihres Standpunkts. Die Weisheit der Mehrheit – das ist die über Generationen gesammelte Überlebenserfahrung. Diese Weisheit der Überlebenden klingt wie eine Anklage: für das Vaterland zu sterben, ein Kind aus einem brennenden Haus zu retten – das ist Heldentum, wen aber rettet ihr? Wozu sinnloserweise das Leben ruinieren, die Freiheit riskieren, Arbeit und Freunde verlieren, wenn sich sowieso nichts ändert? Vor allem aber opfert ihr nicht nur euch selbst, sondern auch die Menschen, die ihr liebt!

Wer gab euch das Recht, das Leben eurer Nächsten zu zerstören? Ihr seid bereit, für etwas zu sterben, was es nicht gibt – für Worte. Auf der einen Waagschale sind die Menschen, die euch brauchen. Auf der anderen sind die Worte: die Pressefreiheit, die Bürgerrechte, die Einhaltung der Verfassung. Sind denn schöne Worte wirklich wichtiger als ein geliebter Mensch? Nur infantile Romantiker mit unterentwickeltem Verantwortungsgefühl können so handeln.

Die Bereitschaft, für schöne Reden sein Leben zu lassen, ist verschleppter jugendlicher Maximalismus. Ihr seid Fanatiker! Es ist die Energie der Selbstzerstörung, die euch antreibt, ihr seid nicht erwachsen geworden, um ein Haus zu bauen, einen Baum zu pflanzen, einem Kind Liebe zu schenken. Dabei ist es so wichtig, sonntags mit seinem Sohn ins Museum zu gehen!

Um abstrakter Ideale willen verweigert ihr euch dem realen Leben. Ihr rettet doch nur eure eigene Seele! Euer Heldentum ist mit der Innenseite nach aussen gewendeter Egoismus. Ist es vielleicht kein Egoismus, seine Seele zu retten und seine Familie zu ruinieren? Ihr seid lediglich eine biologische Anomalie, eine besondere Sorte Mensch mit reduziertem Selbsterhaltungsinstinkt, das ist wissenschaftlich bewiesen! Es gibt einen Typ Mensch mit einem extrem stark ausgeprägten Bedürfnis, sich aufzuopfern. Solche Menschen suchen den Kick im Märtyrertum – eine verzehrende Leidenschaft, die stärker ist als jede Droge. Solche Menschen leben nur noch dafür, sich aufzuopfern.

Die Würde bewahren

Ihr lasst euch demütigen und fühlt euch dabei moralisch überlegen. Ihr empfindet euch als Auserwählte, als die Besten. Aber behauptet nur nicht, ihr hättet das für uns getan! Um dieses Opfer hat euch keiner gebeten! Und vor allem seid ihr naiv. Daran zu glauben, auf der sündhaften Erde könnten Freiheit, Ehre und Güte die Oberhand gewinnen, kommt dem Glauben an Wunder gleich. Kann man etwa das Leben entgleisen lassen für den Glauben an Worte, für den Glauben daran, dass Wunder möglich sind?

Die Angst ist eine Quelle des Lebens, sie ist so natürlich wie Atmen oder Essen. Das ist der Überlebensinstinkt. Diejenigen, die sich für Prinzipien opfern, lehnen sich gegen die Natur auf. Für sie liegt der Sinn des Lebens nicht im Überleben, sondern darin, die menschliche Würde zu bewahren.

Als man Boris Pasternak in den dreissiger Jahren bat, einen Brief zu unterschreiben, in dem die Erschiessung von «Volksfeinden» gefordert wurde, warf sich seine schwangere Frau ihm zu Füssen und flehte ihn an zu unterschreiben – um des Kindes willen. Er sagte: «Wenn ich unterschreibe, werde ich ein anderer Mensch sein. Und das Schicksal des Kindes eines anderen Menschen interessiert mich nicht.» Das ist nicht Heldentum, das ist etwas anderes. Es ist das Unvermögen, ein anderer Mensch zu sein als man selbst.

Einen Monat vor seinem Tod sagte Boris Nemzow in einem Interview: «Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er bereit ist, Risiken einzugehen, oder nicht. Ich kann nur für mich sprechen. Ich bin froh, dass ich die Wahrheit sagen kann, dass ich mir selbst treu sein kann und nicht katzbuckeln muss vor den erbärmlichen, diebischen Staatsorganen. Die Freiheit ist ein teures Gut.»

Die Menschen und ihre Schicksale sind ein lebendiger Vorwurf an jeden von uns.

Diese Menschen sind keine Opfer. Sie wählen jedes Mal aufs Neue bewusst die Freiheit. So oft sie die Gelegenheit hatten, sich selbst zu verleugnen – stets haben sie selbst ihre Wahl getroffen, auch wenn sie damit Gefängnis oder Tod wählten. Sie sind die wahrhaft freien Menschen.

Elias Canetti bemerkte einmal: «Ich frage mich, ob es unter denen, die ihr gemächliches, sicheres, schnurgerades akademisches Leben auf das eines Dichters bauen, der in Elend und Verzweiflung gelebt hat, einen gibt, der sich schämt.»

Ich habe das Gefühl, dass sie alle – diejenigen, die 1968 auf den Roten Platz gingen, Anna Politkowskaja, Boris Nemzow, Ashraf Fayadh, Malini Subramaniam und viele, viele andere – uns mit ihrem ganzen Leben fragen: Schämt ihr euch nicht?

Diese Menschen sind unbequem, wie das Gewissen. Die Menschen und ihre Schicksale sind ein lebendiger Vorwurf an jeden von uns.

Ich schäme mich.

Gerade, weil man nicht ihnen allen, den bekannten wie den unbekannten, Dankbarkeit und Anerkennung aussprechen kann, muss man diese konkreten Menschen gegenüber zum Ausdruck bringen, und in der Person des palästinensischen Dichters und der indischen Journalistin erhalten all diejenigen unsere Anerkennung, unsere Bewunderung und unsere Dankbarkeit, die immer wieder auf den Platz gingen und gehen, «für unsere und eure Freiheit», so gefährlich das auch sein mag. Unsere Dankbarkeit gilt diesen Tausenden und Abertausenden wunderbarer, mutiger Menschen, auch wenn wir all ihre Namen niemals erfahren werden.

Aus Liebe zum Leben

«Sieben Menschen auf dem Roten Platz – das sind mindestens sieben Gründe, warum wir die Russen nie mehr werden hassen können», schrieb ein tschechischer Journalist über die Demonstranten von 1968. Indem sie ihren Kampf weiterführen, auch ohne Aussicht auf Erfolg, vollbringen Menschen wie sie zu allen Zeiten und in jedem Land etwas sehr Wichtiges: Sie retten die Ehre ihres Volkes und die Ehre der ganzen Menschheit. Durch ihren Kampf rechtfertigen sie unser aller Existenz auf dieser Erde. Sie tun das, um zu beweisen, dass die Werte, für die sie leiden, die wahren Werte sind. Sie tun es aus Liebe zum Leben. Sie tun es, damit jemand – an ihrer Stelle – sonntags mit den Kindern ins Museum gehen kann und damit wir an Wunder glauben.

Ich werde mit meinem Sohn noch einmal in das Museum gehen. Vielleicht ist ja das Kind inzwischen geboren.

Michail Schischkin, 1961 in Moskau geboren, gehört zu den bedeutenden russischen Gegenwartsautoren. Er lebt seit 1995 in der Schweiz und ist Mitglied des DSPZ. – Aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg.

Medienmitteilung

Firas Shamsan

Der jemenitische Autor Firas Shamsan findet Zuflucht in Bern

Im Rahmen des Programms „Writers in Exile“ geben das Deutschschweizer PEN-Zentrum und die Stadt Bern dem verfolgten jemenitischen Autor Firas Shamsan eine Zufluchtsstätte.

Firas Shamsan, Autor, Journalist, Fotograf, Blogger und Sozialaktivist aus dem Jemen, ist am 15. Januar aus seinem Exil in Kuala Lumpur (Malaysia) in Bern eingetroffen. Hier wird er als Stipendiat der Deutschschweizer PEN-Zentrums (DSPZ) in Sicherheit leben, arbeiten und publizieren können.

Das DSPZ hat sein Writers-in-Exile-Programm 2014 gestartet und konnte von Oktober 2015 bis Februar 2018 dem Rechtsanwalt, Menschenrechtsaktivisten und Lyriker Daniel Mekonnen aus Eritrea eine Zufluchtsstätte in Luzern gewähren. Im Sommer 2018 konnte der Stadtpräsident von Bern, Alec von Graffenried, und mit ihm der Berner Gemeinderat dafür gewonnen werden, dass Bern als erste Schweizer Stadt Mitglied des „International Cities of Refuge Network” (ICORN) wurde.

Firas Shamsan wurde 2008 im Alter von 22 Jahren als freier Journalist und Nachrichtenredakteur aktiv. Im Lauf des arabischen Frühlings nahm er 2011 aktiv an den Jugenddemonstrationen teil, die zum Sturz von Präsident Saleh führten. Danach war er als Autor, Fotograf und Filmer am zahlreichen Presse-, TV- und Internet-Reportagen über soziale und politische Themen in Jemen beteiligt, so vor allem auch an der Kampagne „Use Your Brain for thinking not for bombing“, um junge Menschen zu ermutigen, ihre Ausbildung fortzusetzen statt sich gewalttätigen Gruppierungen anzuschliessen. Daraus ging 2013 „Fantime“ hervor, eine Kultur-Website, die er bis heute leitet.

Ohne für die eine oder andere der Kriegsparteien einzutreten, wandte er sich grundsätzlich gegen die gewaltsame Austragung der Konflikte und wurde deshalb von studentischen „Sicherheitskomitees“ verbal und körperlich angegriffen. Ende 2013 floh er nach Ägypten, um seine journalistische Tätigkeit für die Webseite und für Fernsehen fortzusetzen. Im Februar 2014 wurde er beim Fotografieren auf der Buchmesse in Kairo von der ägyptischen Polizei verhaftet und mehr als 30 Tage festgehalten. Die ägyptischen Behörden beschuldigten ihn, er habe für den katarischen TV-Sender Al Jazeera gearbeitet und „falsche Nachrichten und Gerüchte verbreitet, die den öffentlichen Frieden und die Sicherheit mit einem Aufnahmegerät stören.“ Nach einmonatiger Haft mit Misshandlungen und Folter wurde er von einem Gericht freigesprochen. Er leidet bis heute mit schweren Verletzungen im Rücken und im linken Knie an den Folgen der Folter im ägyptischen Gefängnis und geht immer noch an einem Stock.

2014 kehrte er in den Jemen zurück und dokumentierte die Leiden der Bevölkerung im Krieg zwischen den Huthi-Rebellen und der von Saudiarabien angeführten Koalition. Als die Huthis ihn auf eine Liste der Personen setzte, die inhaftiert werden sollten, floh er im Juni 2015 nach Jordanien und von da nach Malaysia, wo er keine feste Aufenthaltserlaubnis erhielt und nur mit einem Touristenvisum geduldet wurde. Die körperlichen und psychischen Folgen seiner Haft in Ägypten verschlimmerten sich, als er von jemenitischen Aktivisten krankenhausreif geschlagen wurde. Er blieb aber die ganze Zeit publizistisch tätig, auch wenn er dabei riskierte, in den Jemen zurückgeschickt zu werden, wo ihm die Verhaftung, die Entführung oder gar der Tod droht.

Im Verein mit den PEN-Zentren der Suisse romande sowie der italienischen und rätoromanischen Schweiz bemüht sich das DSPZ darum, weitere Schweizer Städte für die ICORN-Mitgliedschaft zu gewinnen.

 

Kontakt: Adi Blum, Verantwortlicher Writers in Exile-Programm des DeutschSchweizer PEN Zentrums

Tel: +41 79 657 77 71

E-Mail: adi.blum@pen-dschweiz.ch

 

 

Ukraine

« s’ist Krieg ! s’ist Krieg ! » Der Klageruf von Matthias Claudius von 1778 hat mit dem Grossangriff der russischen Armee auf die Ukraine einmal mehr neue Aktualität erhalten. Der russische Präsident, seine Regierung, seine Armee und der Kreis der Mächtigen, die sie stützen, erklären die mühsame Suche nach dem Frieden zwischen den Sprachen und Religionen in der Ukraine und dieser Nation mit ihren Nachbarn für endgültig gescheitert und lassen nun nur noch die Waffen sprechen. Wir halten am Ziel dieses Friedens fest und sind solidarisch mit allen Kräften in der Ukraine, in Russland und in der ganzen Welt, die sich dafür einsetzen. Sie sind auf die Freiheit des Wortes in Schrift und Rede und die Freiheit der Künste angewiesen, für die wir uns wie die PEN Zentren der ganzen Welt aktiv einsetzen. Das verlangt die volle Solidarität mit den Verfolgten und offene Grenzen für die Flüchtlinge. Die russische Führung kann militärisch Erfolg haben. Aber die Herzen der Völker wird sie verlieren, auch jene der russischen Föderation.

 

Böim

 

 

Statement des DSPZ zur Situation in der Ukraine

« s’ist Krieg ! s’ist Krieg ! » Der Klageruf von Matthias Claudius von 1778 hat mit dem Grossangriff der russischen Armee auf die Ukraine einmal mehr neue Aktualität erhalten. Der russische Präsident, seine Regierung, seine Armee und der Kreis der Mächtigen, die sie stützen, erklären die mühsame Suche nach dem Frieden zwischen den Sprachen und Religionen in der Ukraine und dieser Nation mit ihren Nachbarn für endgültig gescheitert und lassen nun nur noch die Waffen sprechen. Wir halten am Ziel dieses Friedens fest und sind solidarisch mit allen Kräften in der Ukraine, in Russland und in der ganzen Welt, die sich dafür einsetzen. Sie sind auf die Freiheit des Wortes in Schrift und Rede und die Freiheit der Künste angewiesen, für die wir uns wie die PEN Zentren der ganzen Welt aktiv einsetzen. Das verlangt die volle Solidarität mit den Verfolgten und offene Grenzen für die Flüchtlinge. Die russische Führung kann militärisch Erfolg haben. Aber die Herzen der Völker wird sie verlieren, auch jene der russischen Föderation.

Daniel Rothenbühler, Präsident DSPZ

 

Freiheit für Julian Assange – Nein zur Auslieferung!


Welttag der Pressefreiheit 2022

 

Am 20. April 2022 hat die britische Justiz die Auslieferung von Julian Assange an die US-Behörden genehmigt. Nun ist es an der britischen Innenministerin Priti Patel, das Dekret zu unterzeichnen, das den Whistleblower einer Justiz überstellen würde, die ihm 175 Jahre Haft androht.

Gemeinsam mit zahlreichen humanitären Organisationen der ganzen Welt fordern das DeutschSchweizer PEN Zentrum und das Centre PEN suisse romand die britische Regierung auf, dem Druck der USA zu widerstehen und die Auslieferung des WikiLeaks-Gründers abzulehnen

Wir fordern die sofortige Freilassung von Julian Assange aus dem Gefängnis Belmarsh in der Nähe von London, wo er seit drei Jahren in Einzelhaft Bedingungen ausgesetzt ist, die eine ernsthafte Bedrohung für seine geistige und körperliche Gesundheit darstellen.

Eine Auslieferung Assanges an die USA käme einem Todesurteil auf Raten gleich. Die US-Behörden wollen ihn in ihre Gewalt bringen, um ihn unter psychischem und physischem Druck noch nicht identifizierte Quellen der Informationen abzupressen, die er über seine Plattform WikiLeaks veröffentlicht hat.

Julian Assange verdient es im Gegenteil, sofort freigelassen und geschützt zu werden, denn mit der Offenlegung der zahlreichen Missbräuche und illegalen Handlungen, die weltweit im Namen der sogenannten Staatsräson begangen werden, hat er der Wahrung des Friedens und der Meinungs- und Pressefreiheit einen grossen Dienst erwiesen.

Daniel Rothenbühler - DeutschSchweizer PEN Zentrum

Alix Parodi – Centre PEN suisse romand

 

Das DSZP erweitert seinen Vorstand

Dragica Raicic-Holzner, Daniel Rothenbühler (Präsident), Heike Fiedler, Karl Rühmann, Sabine Haupt, Adi Blum, Dominik Riedo und Joel Laszlo.

Daniel Rothenbühler, Sabine Haupt, Karl Rühmann und Adi Blum wurden am 26. Mai 2022 an der Jahresversammlung des DSPZ in ihrem Amt bestätigt. Nicht mehr in den Vorstand gewählt wurde Cem Akgül. Dominik Riedo, Dragica Raicic-Holzner, Heike Fiedler und Joel Laszlo wurden neu in den Vorstand gewählt.

Ein Mail aus Kabul

Eine Erfolgsgeschichte entgegen der Schweizer Asylpolitik.

Die WOZ vom 27.10.2022 berichtet darüber, wie es das PEN­Zentrum schaffte, Dutzende afghanische Intellektuelle zu retten. Eine Erfolgsgeschichte entgegen der Schweizer Asylpolitik.

Der WOZ-Artikel pdf

Medienmitteilung


Die angolanische Autorin und LGBT+-Aktivistin Aaiún Nin findet ein neues Zuhause in Bern

Im Rahmen des Programms «Writers in Exile» geben das DeutschSchweizer PEN Zentrum und die Stadt Bern der verfolgten angolanischen Autorin und LGBT+-Aktivistin Aaiún Nin eine Zufluchtsstätte für zwei Jahre. Mit Dominik Riedo hat das DeutschSchweizer PEN-Zentrum zudem einen neuen Präsidenten.

Die in Angola geborene Autorin Aaiún Nin befindet sich seit März 2023 in Bern. Hier wird sie als Stipendiatin des DeutschSchweizer PEN-Zentrums (DSPZ) in Sicherheit leben, arbeiten und publizieren können. Sie ist eine vielversprechende Dichterin, Mixed-Media-Künstlerin und LGBT+-Aktivistin. Seit dem Sommer 2016, als sie aus Angola nach Dänemark floh, hat sie offen als queere Schriftstellerin und Künstlerin gearbeitet. Sie befasst sich mit den Themen Rassen- und Geschlechterdiskriminierung sowie mit LGBT+-Erfahrungen, kritisiert in ihren Texten sexuelle Gewalt, Religion und andere Aspekte der angolanischen Nachkriegsgesellschaft. Ihr Gedichtband «Broken Halves of a Milky Sun» (Astra Verlag 2022) wurde ins Dänische, Polnische und Deutsche übersetzt. Sie hat ihre Gedichte bei zahlreichen Veranstaltungen vorgetragen, z. B. beim internatonalen Oslo Poesifestival 2020. Zudem hat sie im Dokumentarfilm «Women of Water» mitgewirkt, bei dem Patricia Bbaale Bandak 2017 Regie führte.

Aaiún Nin drohen bei einer Rückkehr nach Angola aufgrund ihrer queeren Schriften, ihrer Kunst und ihres Aktivismus Verfolgung durch ihre Familie und die Gesellschaft. Zwar sind seit 2019 gleichgeschlechtliche Beziehungen offiziell nicht mehr strafbar, doch die Diskriminierungen und homophobe Hassverbrechen sind weiterhin weit verbreitet. Dank des durch ICORN vermittelten Aufenthaltes in Bern kann die Autorin sich nun für zwei Jahre weiter ihrer Arbeit widmen.

Das DSPZ hat sein Writers-in-Exile-Programm 2014 gestartet und konnte bisher zwei Stipendiaten aufnehmen, den Rechtsanwalt, Menschenrechtsaktivisten und Lyriker Daniel Mekonnen aus Eritrea und den jemenitischen Blogger und Journalist Firas Shamsan. Die Stadt Bern ist dabei als erste Schweizer Stadt Mitglied des «International Cities of Refuge Network» (ICORN) geworden. Weitere Schweizer Städte beabsichtigen Teil des Netzwerkes und damit Cities of Refuge, Städte der Zuflucht, zu werden.

Dominik Riedo erneut Präsident des DeutschSchweizer PEN Zentrums

Das Deutschschweizer PEN-Zentrum wählte an seiner letzten Vollversammlung in Solothurn den Schriftsteller Dominik Riedo zum neuen Präsidenten. Der 49-jährige Riedo ist Schriftsteller, wohnt bei Bern und hatte das Amt als Präsident bereits von 2010 bis 2012 inne. Er setzt sich in und mit seinen Schriften oft mit und für Verfolgte/n und Vernachlässigte/n ein und auseinander, auch in seiner Literatur. Neu in den Vorstand gewählt wurden die Autorinnen Vera Hohleiter und Asiye Mujgan Güvenli.

 

Kontakt: Adi Blum, Verantwortlicher Writers in Exile-Programm des DeutschSchweizer PEN Zentrums

Tel: +41 79 657 77 71

E-Mail: adi.blum@pen-dschweiz.ch